"Mara Kogoj" von Kevin Vennemann

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France Prešeren
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Jan 2010 25 23:33

"Mara Kogoj" von Kevin Vennemann

Ungelesener Beitrag von France Prešeren

http://www.kultiversum.de/Literatur-Literaturen/Slowenien-II-OEsterreich-Kaernten-FPOE-Zweiter-Weltkrieg-SS-Kaernten-is-lei-aans.html?p=4 hat geschrieben:In seinem neuen Roman «Mara Kogoj» geht Vennemann erneut an die Peripherie des deutschen Sprachraums, nach Kärnten, Grenzregion zum ehemaligen Jugoslawien. Wiederum stehen die Erfahrungen und Schicksale einer diskriminierten Gruppe im Zentrum: die der slowenischen Minderheit im Land, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehr als 100.000 Personen umfasste und seither durch Assimilation, Verfolgung und mangelnde Unterstützung auf weniger als 20.000 geschrumpft ist. Wiederum spielt die Auslöschung einer Familie durch die Nazis eine wichtige Rolle. Und dennoch unterscheidet sich der Roman grundlegend von Vennemanns Erstling. In «Mara Kogoj» geht es um das, was in «Nahe Jedenew» fast völlig ausgespart blieb: um historische Hintergründe und politische Zusammenhänge. Es geht um Geschichte und Erinnerung als Kampfplatz des Politischen.

Tone Lebonja und seine Kollegin Mara Kogoj, beide Kärntner Slowenen, interviewen im Rahmen einer Studie ausgewählte Kärntner über ihre Einstellung zu Heimat, Staat und Geschichte. Einer der Befragten ist Ludwig Pflügler, sechzig Jahre alt, deutschnationaler Journalist, Agitator gegen die Wehrmachtsausstellung 1996 in Klagenfurt und vorbestraft wegen NS-Wiederbetätigung. Pflügler ist der Typ des intelligenten Rechtsradikalen, der mit seinen Interviewern Katz und Maus spielt und dessen Intelligenz primär dem Schutz der eigenen Paranoia dient. Er hat auf alles eine Antwort, Fragen interessieren ihn nicht, Fakten nur, soweit sie seine vorgefertigten Meinungen und nationalsozialistischen Erklärungsmuster stützen.

Die Eckpfeiler von Pflüglers Weltsicht: die Generation der Väter, die von den Siegern gedemütigt und kriminalisiert wurde, hat Heimat und Volk gegen Bolschewismus und Kommunismus verteidigt. Die Väter haben unter größten Opfern ihre Pflicht erfüllt. Verräter und Kameradenmörder, wie es die Partisanen waren, sind ihnen dabei in den Rücken gefallen. Pflügler erinnert als Figur in vielem an den früheren Berater Jörg Haiders und jetzigen Chef-Ideologen der FPÖ, den Publizisten und EU-Abgeordneten Andreas Mölzer, einen der aktivsten Unterstützer der unlängst erfolgten rechtsextremen Fraktionsbildung im Europäischen Parlament.

Der Ulrichsberg als SS-Weihestätte

Kristallisationspunkt der Geschichten, die Pflügler in den Interviews ausbreitet, ist im Roman (wie auch in der Realität) die «Heimkehrer-Gedenkstätte» auf dem Ulrichsberg bei Klagenfurt, wo sich seit den fünfziger Jahren jeweils Anfang Oktober Kameradschafts- und Abwehrkämpferbünde, Heimatverbände, Abordnungen ehemaliger SS-(Freiwilligen-)Formationen aus ganz Europa, volksdeutsche Landsmannschaften, hochrangige Politiker vom Klagenfurter Bürgermeister aufwärts bis in Ministerränge, Neonazis und amtsbekannte Rechtsradikale zur jährlichen Erneuerung ihres politischen Glaubensbekenntnisses treffen.

Am Vorabend der Feier findet traditionellerweise in Krumpendorf am Wörthersee ein «Europatreffen» der «Kameradschaft IV» statt, eines Unterstützungsvereins ehemaliger SS-Angehöriger. Prominentester Referent war dort 1995 der Kärntner Landeshauptmann und spätere Koalitionspartner Wolfgang Schüssels, Jörg Haider. Er sprach den versammelten SS-Veteranen Dank und Anerkennung aus. Versuche, die Waffen-SS als «ehrbaren» Teil der Wehrmacht zu rehabilitieren, wurden zuletzt 2006 unternommen. Alles das ist, akribisch recherchiert, Teil von Kevin Vennemanns Erzählung.

Jahrzehntelang bot die Veranstaltung auf dem Ulrichsberg die Gelegenheit, rechte Geschichtsmythen und alte Feindbilder grenzübergreifend zu tradieren und zu festigen. Andere Opfer als die Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS kannte dieses «Totengedenken» nicht. Die Feindbilder blieben jahrzehntelang dieselben. Es ging immer schon und geht immer noch gegen Slowenen, Linke, Widerstandskämpfer. Es geht gegen jene, die nicht in den Chor der deutschnationalen Traditionspflege einstimmen, seien es Historiker, Journalisten, Richter oder Künstler. Es geht gegen jene, die auf ihrer eigenen Wahrnehmung und Erinnerung beharren und die Geschichte des Landes anders erzählen als die Geschichtshüter des Ulrichsbergs.

Wer sind die Mörder vom Persmanhof?

Zum Beispiel die Geschichte des Persmanhofs. Das war einst ein stattlicher Bauernhof im slowenischsprachigen Gebiet Kärntens, nahe der Grenze zum ehemaligen Jugoslawien. Während des Zweiten Weltkriegs fungierte er als ein wichtiger Partisanenstützpunkt. Hier ermordete am 25. April 1945 ein Kommando eines SS- und Polizei-Regiments elf Angehörige der Bauernfamilien Sadovnik und Kogoj, vorwiegend Frauen und Kinder, und steckte das Anwesen in Brand.

Das Verbrechen wurde nie vollständig aufgeklärt und nie gesühnt. Schon bald nach dem Krieg wurde das Gerücht ausgestreut, die Partisanen selber hätten das Massaker verübt. Auch Pflügler wiederholt im Roman diese Infamie. Dies ist der Punkt, an dem sich die ohnehin gespannte Situation zwischen den beiden slowenischen Interviewern Lebonja und Mara Kogoj zuspitzt. Lebonja war nach jahrzehntelanger Abwesenheit für das Interview-Projekt nach Kärnten zurückgekehrt. Er hatte sich vorgenommen, sich nicht in die alten Geschichten, deretwegen er das Land verlassen hatte, hineinziehen zu lassen. Er will als distanzierter Protokollant fungieren. Doch das gelingt ihm nicht, weil er Pflügler von früher kennt.

Mara Kogoj wiederum, deren Mutter Partisanin war und im KZ umkam, ist vermutlich mit den Ermordeten vom Persmanhof verwandt. Angesichts der Lügen Pflüglers und seines unverschämten Auftretens verliert sie zunehmend die Fassung und wirft Lebonja vor, er gebe durch sein indifferentes Verhalten Pflügler Recht und bestärke ihn in seiner Haltung.

Mara Kogoj donnert los

Die Auseinandersetzung zwischen Mara Kogoj und Lebonja ist für beide ein Versuch, über die eigene Geschichte sprechen zu lernen. Hier unternimmt Kevin Vennemanns Text eine grundlegende Korrektur der politisch instrumentalisierten Kärntner Geschichte, wie sie in den Tiraden Pflüglers und den politisch gestützten Geschichtskonstruktionen der Ulrichsberg-Gesellschaft erscheint. Zuletzt rechnet Mara Kogoj in einem Monolog von Thomas Bernhard’schen Dimensionen mit all dem ab, «was man eigentlich vergessen möchte».

Sie leiht damit jenen eine Stimme, die von den deutschnationalen Kärntner Geschichts-Chören seit jeher übertönt wurden – jenen, die in den offiziösen Erzählungen vom Ulrichsberg keinen Platz haben: den Kärntner Partisanen, die in ihrer überwiegenden Mehrheit der slowenischen Minderheit angehörten und mit ärmlichsten Mitteln dennoch den effizientesten und militärisch wichtigsten Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf österreichischem Boden organisiert haben; den Opfern unter der Zivilbevölkerung und den verfolgten Minderheiten, für die die ermordeten Frauen und Kinder vom Persmanhof stellvertretend stehen. Und all jenen im Bundesland Kärnten, die sich an der rechtspopulistischen Landespolitik stoßen, die der slowenischsprachigen Bevölkerung beispielsweise die ihr zustehenden zweisprachigen Ortstafeln noch immer verweigert.

Chorgesang als Polit-Metapher

Erstaunlich die Genauigkeit und die Treffsicherheit, mit der Kevin Vennemann, der 30-jährige gebürtige Westfale aus Dorsten an der Lippe, am Kärntner Beispiel Strategien und Inhalte deutschnationaler Geschichtspolitik rekonstruiert und in die Romanhandlung einbaut. Die Stringenz des Textes und seine künstlerische Qualität sind damit noch nicht erklärt. Was sich hier in der Nacherzählung wie eine historische Fallstudie ausnehmen mag, ist literarisch ein äußerst komplexes – und gefährdetes – Gebilde.

Strukturiert wird es von einer Großmetapher, die sich vom musikalischen Genius Loci ableitet – Kärnten als Land des Gesangs, der Chöre und der Komponisten. Gustav Mahlers Komponierhäuschen am Wörthersee besetzt denn auch den dritten zentralen Ort der Erzählung, neben dem Ulrichsberg und dem Persmanhof. Auf das Thema des Romans bezogen bedeutet das: Die Konstruktion von Geschichte nach dem Ulrichsberg-Prinzip funktioniert analog einer musikalischen Komposition – die einzelnen Stimmen werden der Totalität eines erwünschten Klanges angeglichen, dissonante Stimmen werden entweder dieser Totalität unterworfen oder eliminiert. Das Singen im Chor festigt durch Wiederholung die vorgegebene Version und lässt abweichenden Stimmen keinen Raum. «Kärnten is lei aans»-Chöre können ja durchaus bedrohlich klingen: «Es gibt nur ein Kärnten!»

Leicht zu lesen ist das nicht

Dagegen schafft Vennemanns Roman einen Raum für die dissonanten und die in Kärnten zum Schweigen gebrachten Stimmen. Er geht formal sogar noch einen entscheidenden Schritt weiter. Da die Grundkonstellation des Romans das Interview ist, bildet der Autor den Duktus des Redens, der gesprochenen Sprache in seiner Stimmführung des Textes ganz bewusst nach: Emotionalität, Unmittelbarkeit, Sprunghaftigkeit. Die Sätze sind oft überlang. Mit ihren Einschüben, Brüchen und Abschweifungen, mit dem häufigen Dazwischenreden des Erzählers und der anderen Sprecher erzwingen sie permanente Perspektivenwechsel. Das erschwert anfangs die Lektüre.

Auf diese Weise wird jedoch auch deutlich, wie bruchstückhaft, verzerrt, vielschichtig und widersprüchlich die einzelnen Erzählungen und Standpunkte sind. Was Vennemann sprachlich nachvollzieht, im Großen wie in den Kleinigkeiten, sind die unterschiedlichen Sichtweisen, die hier simultan, aber konkurrierend aufeinander prallen. Vor allem gelingt es ihm, in einer geschlossenen literarischen Rede den Kampf der einzelnen menschlichen Stimme gegen das hohle Pathos des Ulrichsberg-Orchesters abzubilden.

Diese ambitionierte Erzähltechnik wird von einer ungewöhnlichen Interpunktion unterstützt. Deren Sinn erschließt sich ebenfalls erst nach und nach. Sie dient nicht primär dazu, die Syntax zu gliedern und sichtbar zu machen. Sie unterstreicht und verstärkt vielmehr die Mündlichkeit des Textes, den Rhythmus und die Emotionalität des Sprechens. An dieser kunstvollen Interpunktion ist alles ablesbar: Pathos, Emphase, Stocken, Neueinsatz, Wechsel der Tonlage. Der Text verlangt danach, laut gelesen zu werden. Vielleicht, um sich besser Gehör zu verschaffen.
Ein erstaunliches Buch. Und ein notwendiges.
Nazadnje še, prijatlji,kozarce zase vzdignimo,ki smo zato se zbrat'li,ker dobro v srcu mislimo.
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